Angriffe auf Schiedsrichter sind im Kreis Diepholz selten, doch der Ton wird rauer

Körperliche oder verbale Attacken gegen den Schiedsrichter sind ein Problem im Amateurfußball. Das geht aus einer Statistik des Niedersächsischen Fußballverbands (NFV) hervor. Doch wie sieht es im Fußball-Kreis Diepholz aus? Der Vorsitzende Andreas Henze, Kreisschiedsrichterobmann Jan-Eike Ehlers und vier Referees beziehen deutlich Stellung.

Diepholz – Bei mehr als einem Drittel aller Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle ist der Schiedsrichter das Opfer. Das geht aus einer Statistik des Niedersächsischen Fußballverbands (NFV) hervor. 555 Vorfälle habe es in dieser Saison bis zum 1. Juni gegeben. 210-mal war der Unparteiische Ziel von körperlichen oder verbalen Angriffen, wie NFV-Vizepräsident Frank Schmidt mitteilt. Die Zahlen verdeutlichen: Übergriffe gegen den Referee von Spielern, Trainern oder Fans sind ein Problem im Amateurfußball. Wie sieht es im Fußball-Kreis Diepholz aus?

Die Lage in Diepholz

Der Vorsitzende Andreas Henze beobachtet: „Der Respekt geht verloren. Die Tonart ist eine andere, Diskussionen sind aggressiver geworden. Die Hemmschwelle ist gesunken.“ Und der 54-Jährige kann das bestens beurteilen, schließlich ist er selbst seit knapp 40 Jahren Schiedsrichter, pfeift „in dieser Saison einmal pro Woche ein Spiel“.

Handgreiflichkeiten gegenüber dem Unparteiischen seien in Diepholz laut Henze aber selten. Das bestätigt Kreisschiedsrichterobmann Jan-Eike Ehlers: „Körperliche Gewalt gibt es in Diepholz so gut wie gar nicht. In dieser Saison hat es lediglich einen Fall gegeben, den wir dem NFV gemeldet haben.“ Ein Spieler habe nach der Partie auf dem Weg in die Kabine eine Plastikflasche Richtung Schiedsrichter geworfen, ihn aber weit verfehlt, berichtet der 40-Jährige, ohne Namen zu nennen.

Bei der „verbalen Gewalt“, die derweil zunimmt, müsse laut Ehlers unterschieden werden zwischen „Beleidigungen wie Arschloch und Diskriminierung wie Behinderter, wenn ein Schiedsrichter wirklich eine Behinderung hat“. Ein Fall ist Ehlers bekannt, bei dem es in der laufenden Serie zu einer Diskriminierung eines Schiedsrichters mit körperlicher Beeinträchtigung gekommen ist. „Das Sportgericht hat entschieden, dass die Saison für den Spieler zu Ende ist. Er hat alles zugegeben“, berichtet der Schiri-Boss.

Ehlers selbst, der in der Vergangenheit bis zur Regionalliga Spiele leitete, sei in seiner Karriere von Gröberem „verschont geblieben, auch wenn ich in höheren Ligen mal einen Becher an den Kopf bekommen habe.“ Henze habe bisher ebensowenig Probleme gehabt: „Ich finde den richtigen Ton, um mir Respekt zu verschaffen. Gleichaltrige können das aber vielleicht nicht.“

Erklärungsansätze

Als Grund für die negative Entwicklung nennt Henze „fehlende Erziehung. Da wird viel versäumt. In den sozialen Medien kann sich jeder einfach anonym äußern. Da ist der Umgangston nicht nur auf dem Platz ein anderer geworden, sondern auch in der Schule. Lehrer und Trainer müssen oftmals die Erziehung übernehmen.“ Henze selbst sei noch „mit ganz anderer Sprache groß geworden. Da finde ich es schon respektlos, wenn die Spieler untereinander sagen: ,Ey Digga, lass das.‘“

Ehlers sieht die Eltern ebenfalls in der Verantwortung: „Reinrufe verderben den jungen Referees oftmals den Spaß – zum Beispiel in der C-Jugend, in der die Schiedsrichter beginnen, zu pfeifen.“ Henze meint dazu nur vielsagend: „Wenn sie sich selbst mal hören würden . . .“

Die Folgen

„Guten Gewissens kann man einem jungen Menschen eigentlich nicht empfehlen, Schiedsrichter zu werden“, meint Henze. Der langjährige Refereee-Lehrwart (2001 bis 2008) berichtet: „Wir hatten nie Probleme, Schiris zu gewinnen. Wenn, dann haben wir sie schnell wieder verloren. Bei unseren Befragungen waren verbale Angriffe einer der Hauptgründe dafür.“

Aktuell seien laut Ehlers 270 Schiedsrichter im Kreis aktiv: „250 sind es im Schnitt. Das Soll liegt wesentlich höher – bei 300.“ Der Schiri-Boss weiß, dass „von den 28 Neuen“, die den jüngsten Lehrgang absolvierten, „auch wieder welche aufhören werden. Letztlich ist die Welt bei uns aber noch in Ordnung. Und wenn man mal Gewalt auf Plätzen hat, dann prügeln sich ja nicht 22 Mann, sondern es ist einer, bei dem es aussetzt. In Ballungsräumen ist da oft mehr los.“

Mögliche Lösungen

Um Vorfällen vorzubeugen, sieht die Strafordnung laut Ehlers für Tätlichkeiten – ob gegen den Schiedsrichter oder Gegenspieler – drei Wochen bis zwölf Monate vor. „Länger geht es auf Antrag – beispielsweise bei einem Schlag gegen den Schiedsrichter“, so Ehlers: „Aber ich habe das Gefühl, dass den Leuten die Konsequenzen egaler geworden sind.“

Vorsorglich hat der NFV bereits mehrere Maßnahmen ergriffen. So plant der Verband die Entwicklung eigener Fortbildungsangebote im Themenfeld Gewaltprävention und Anti-Diskriminierung für Schiedsrichter, Trainer und weitere Akteure. Der NFV arbeitet zudem mit dem Landessportbund Niedersachsen am Projekt „Sport mit Courage“. In dessen Rahmen bildet der NFV sogenannte regionale Konfliktlotsen aus, die zur Prävention und Intervention Gespräche mit den Beteiligten vor Ort suchen.

Marcus Peters ist Konfliktlotse im Kreis Diepholz. Bisher habe er aber nichts zu tun gehabt, freut sich Ehlers.

Als vorbeugende Maßnahme bewährt sich im Kreis zudem das Patensystem. Das sorge laut Henze dafür, „dass es auf den Plätzen gesitteter zugeht“. Aktive und ehemalige Referees begleiten dabei die Neu-Schiris bei ihren ersten drei Einsätzen. „Ziel ist es, ein Feedback zu geben und Sicherheit zu vermitteln“, erklärt Ehlers: „Schiris wurden zwar schon immer begleitet, aber erst seit dieser Saison richtig konsequent.“

Henze, selbst Pate, findet’s gut: „So können Schiris ohne Angst in die Spiele gehen. Es macht unheimlich Spaß, Tipps zu geben und die Jüngeren in der Pause auch mal zu animieren, wenn sie in der ersten Halbzeit noch zögerlich gepfiffen haben.“ Ehlers ergänzt: „Schiedsrichter lernen mit Erfahrung. Deshalb fängt man klein an, in der E- oder F-Jugend.“ Da gewinne man erst mal Sicherheit – um gewappnet zu sein, falls es im beschaulichen Kreis doch mal hitzig wird. 

Referees über ihre Erfahrungen im Kreis

Dennis Hanke (34, TSV Bramstedt): „Es ist nicht der Respekt, der weniger geworden ist, es sind viel mehr die Emotionen, die weniger zurückgehalten werden. Auch die Hemmungen bei den Zuschauern sind gesunken. Das ist teilweise echt beleidigend – auch was da ab und zu von den Trainern kommt.“

Tim Otto (24, TSV Weyhe-Lahausen): „Meiner Erfahrung nach hat der Respekt gegenüber dem Schiedsrichter im Kreis Diepholz nicht abgenommen. Es gibt Spiele und Vereine, bei denen es hitziger wird, aber mit Gewalt hatte ich bislang keine Begegnung. Wichtig ist, Spieler nicht von oben herab zu behandeln, nur weil man die Entscheidungsgewalt hat. Es muss eine zwischenmenschliche Ebene da sein.“

Till Schierbaum (21, SV „Friesen“ Lembruch): „Ich fühle mich respektiert von Spielern und Trainern. Einige Zuschauer scheinen den Eintritt aber nur zu zahlen, um pöbeln zu können. Der Torwart oder der Stürmer dürfen für sie Fehler machen, dem Schiedsrichter wird das aber nicht gestattet. Es wird dabei vergessen, dass immer noch ein Mensch hinter der Pfeife steckt. Angst hatte ich aber noch nie auf dem Platz.“

Janis Rotermel (28, SC Twistringen): „Ich habe meine Bachelor-Arbeit über Gewalt im Bremer Amateurfußball geschrieben, habe auch dort und in Westfalen gepfiffen. Daher kann ich sagen, dass in Diepholz noch alles gut ist. Schiris und Trainer kennen sich meist. Schärfer wird der Ton, wenn man aus dem Kreis rausgeht – in der Landesliga oder Oberliga. Problem ist da, dass Schiedsrichter heutzutage in diesen Klassen sehr jung anfangen. Wenn sie dann mal einen Elfmeter pfeifen, der keiner war, dann wird es hitzig. Aber es darf nicht ausarten.“

HINWEIS: Der Artikel stammt vom 17. Juni 2023 von der Kreiszeitung


Autor: Fabian Terwey (Kreiszeitung)